Präsenz der Materie / Reach of Matter

The main protagonist of Renate Balda's work is the material itself – the paper, the paint, the clay – which acts and reacts in a certain way – and the artist is rather the medium that responds to the challenges of the material. (Franz Schneider, Neue Galerie Landshut)

According to „The Way of Tea“ in japanese Zen, for Renate Balda, making art looks more like going „The Way of Art“ (as a viewer you are involved as well).

A never ending jouney – from studying painting at the academy to getting in contact with ceramics by chance (please see here this websiste under vita) seemed and still seems to be a development of its own volition.

All accents that occur during the artistic working process follow the „laws of necessity“ (Yanagi Soetsu) of the hand, the material and the process itself.

In this way, the human presence is visible and at the same time limited to the essentials. The presence of matter tells us about the beauty of the world of which we are part.

Alle Akzente, die sich während des künstlerischen Prozesses der Form- oder Farbgebung ereignen, ergeben sich aus den "laws of necessity" (Yanagi Soetsu) von Hand, Material und Prozess.

So wird die Anwesenheit des Menschen sichtbar und gleichzeitig auf das Notwendigste beschränkt.

Die Präsenz der Materie erzählt von der Schönheit einer Welt an der wir Anteil haben.

Renate Balda 2020

Neue Galerie Landshut

"Tatsächlich kann man hier weniger von einer Bild-Präsentation, als vielmehr von einer malerischen Rauminstallation sprechen.

Betritt man diese Ausstellung und sieht sich um, so mag man auf den ersten Blick ein wenig enttäuscht sein: Von Malerei erwarten wir ja doch in aller Regel ein bildhaftes Geschehen - sei es nun erzählerische Figuration, gestische Emotionalität oder doch zumindest zeichenhafte Andeutungen, die uns eine Spur legen, unsere Assoziationen anheizen, unseren Hunger nach Bildhaftem stillen.

Nichts davon ist zunächst vorhanden: und doch eigentlich viel mehr:

Der ganze Raum scheint aufgeladen durch die Präsenz dieser malerischen Arbeiten und Objekte, und deren lichte Präsenz zieht uns sofort in den Bann. Wie ein Musikstück entzieht sie sich jeder adäquaten Beschreibung; was wir wahrnehmen, ist Rhythmus, Korrespondenz, vielfältige Zwiesprache und eine lichte Energie, die aus diesen mit unglaublicher Präzision zueinander und zum Raum austarierten Bildverhältnissen strömt. Tatsächlich kann man hier weniger von einer Bild-Präsentation, als vielmehr von einer malerischen Rauminstallation sprechen.

Wenn wir uns auf sie einlassen, dann öffnen sich uns diese Bilder; sie verschließen sich zwar einem raschen Blick und bleiben delikate Oberfläche; beginnen wir aber zu schauen, dann wird diese Oberfläche durchlässig, subkutan, und zieht uns in ihre Tiefe. Gerade weil sie keine Unterscheidung zwischen dem Schauplatz des bildlichen Geschehens und dem Dargestellten aufweist, bietet sie sich unserem Blick dar und offenbart ein Geschehen, das sich rein aus dem Material und durch das Material ereignet. Wir sehen die besenartigen Spuren, die sich im Papier des Bildträgers durch den relativ flüssigen Farbauftrag der Schellacktusche aus der Tiefe abzeichnen und erleben, dass dieses Japanpapier eben keine industriell gefertigte Massenware ist, sondern vielmehr in einem ganz individuellen handwerklichen Prozess gefertigt wurde, der eben diese Spuren aufweist und ganz behutsam Teil des bildhaften Geschehens wird. 

Ähnliches gilt für die bemalte keramische Tafel an der Treppe.

Auch bei den Arbeiten auf Leinwand haben wir es, wenn wir genau hinschauen, nicht mit einer gleichmäßigen Farboberfläche zu tun. Wir können, insbesondere an den Rändern, feinste Abstufungen der Farbe, ein leichtes Verblassen wahrnehmen. In vielen sich wiederholenden Vorgängen ist nämlich flüssige Acrylfarbe auf die Leinwand geschüttet worden und dort haben sich die einzelnen Schichten ihren Weg gebahnt, sich überlagert und so kaum wahrnehmbare Differenzen in der Fläche geschaffen. 

Überhaupt ist der wesentliche Protagonist das Material - das Papier, die Farbe, der Ton - das in einer bestimmten Weise agiert und reagiert - und die Künstlerin ist eher das Medium, welches auf die Herausforderungen des Materials, des Farbverhaltens, der Interaktion der verschiedenen Werkstoffe zueinander und im forschenden Prozess des Entstehens eines Bildes vermittelt - in einem Prozess, der Zulassen und Intervenieren im rechten Maß verlangt und der nur in einem Beteiligtsein von höchster Konzentration und Reflexion, ebenso aber in einem Gewährenlassen aufgrund langjähriger Erfahrung zu diesen überwältigenden bildnerischen Zuständen führt. 

Es ist ein beinahe alchimistisches Verfahren dessen Zeugen wir hier werden, doch wird nicht etwa versucht, Gold zu spinnen; vielmehr werden Stoffe wie Farbe, Blattgold und eine völlig immaterielle Substanz, nämlich das Licht, zu einer visuellen Lösung vereint, welche so lebendig und veränderbar bleibt wie das leise Murmeln eines Baches, die Bewegung von Wind und Licht in den Blättern - oder die unabgeschlossenen Variationen eines Musikstücks - und man hat tatsächlich den Eindruck, als hätte die Künstlerin diesen Raum beinahe nach musikalischen Gesichtspunkten bespielt. 

Renate Balda sieht ihre Kunst als zeitgenössische Position einer unaufhörlichen Entwicklungsgeschichte der Kunst und greift auch auf alte Ausdrucksmittel zurück, die sie zeitgemäß weiterentwickelt. Viele Ihrer Arbeiten in dieser Ausstellung tragen den Werkreihentitel: „Hommage an die frühe italienische Tafelmalerei des Trecento“. Des bezieht sich auf ihre intensive Auseinandersetzung mit den Anfängen der Tafelmalerei, und neben den ganz besonderen Farbgebungen sticht auch die Verwendung von Blattgold ins Auge, welches entscheidende Akzente in den hier gezeigten Arbeiten setzt. War es in der frühen Tafelmalerei der Goldgrund, der für das Immaterielle, das kaum Begreifbare steht, vor dem sich ein jeweiliges Geschehen vollzieht, so ist hier die Aufgabe des Blattgoldes, einen Rahmen zu setzen und die Immanenz des Materials an den Rand des Transzendenten zu führen und zugleich im diesseitigen Gehäuse der Bildfläche zu bannen. In diesem Spannungsfeld bewegen sich auch die wenigen keramischen Objekte, die zwar durchaus eine irdische, ja geerdete Schwere einbringen, die sich in ihrer sichtlichen Zweckentbundenheit jeder Gebrauchszurichtung jedoch konsequent und leichtfüßig entziehen."

 

aus der Eröffnungsrede von Franz Schneider, Neue Galerie Landshut

 

Zur Werkserie „Hommage an die Frühe Italienische Tafelmalerei des Trecento“

 

Malerei mit Schellacktusche zuerst auf Bütten später auf Japanpapier begleitet mich seit 2010. Dabei werden sehr viele Schichten wenig pigmentierter Tusche übereinandergelagert. Meine künstlerische Bezogenheit auf die verwendeten Materialien läßt deren Charakter sehr viel Raum. So geht es mir abgesehen von der Farbigkeit, die sich in der intensiven Auseinandersetzung mit der frühen italienischen Tafelmalerei des Trecento entwickelt hat, vor allem um die Sichtbarkeit der lebendigen Papieroberfläche. Die Schönheit dieser feinen Blätter hat mich bewogen, an einer Präsentationsmöglichkeit ohne Glas und Rahmen zu arbeiten, was bei der Schellacktusche, die wasserunlöslich trocknet, möglich ist. (Man kann Verunreinigungen mit kaltem Wasser abwischen.) In diesem heutigen, für mich sehr befriedigenden Verfahren, werden die feinen Blätter auf einen 3mm Museumskarton aufgezogen und die Schnittkanten, die ja leicht verschmutzen könnten, werden mit einem Goldschnitt versehen. (So wird es immer noch für wertvolle oder besondere Bücher gemacht.) Diese Arbeit macht der Buchbinder. Zuletzt wird rückseitig an den Karton ein Holzträger angebracht, der sowohl zum Hängen als auch zur Stabilisierung des Kartons dient.

Die lebendigen Farbfelder, von einem feinen Goldstreifen eingerahmt, können so frei schwingen wie ein Klang. Zu diesem Klang gesellt sich auch eine blattvergoldete Tafel.

 Ich bin durch das intensive Studium der italienischen Malerei des 14.Jh. dazu gekommen, blattvergoldete Tafeln einzuführen. Die lebendigen Farbcharaktere sind jeder einzelne stark genug, gleichberechtigter Partner der goldbelegten Oberfläche zu sein. Zusammen erzählen sie eine Geschichte, die frei von figürlicher Festlegung nicht weniger spannend und inspirierend ist. 

 

Renate Balda im Januar 2021 

 

 

 

Eine fantastische Geschichte

Am Montag vor Ostern kam mein Schwager mit den Worten: „Schau mal Renate, was ich gefunden habe, du arbeitest doch mit Gold, vielleicht kannst du das verwenden?“ Er brachte ein vergilbtes Schächtelchen aus Wellpappe, darin lagen drei Päckchen Blattgold vom Typ Dukaten-Doppelgold, Transfer, sogenanntes Sturmgold, originalverpackt mit je 300 Blatt, genau jener Typ Blattgold, wie ich ihn seit 2 Jahren verwende. Dabei lag ein handgeschriebener Zettel, worauf Typ, Preis und Anzahl der Artikel notiert waren. Mein Schwager erkannte die Schrift sofort als die meines Schwiegervaters, der Drogist gewesen war. Bis zu den 70er Jahren waren die Drogerien noch Universalfachgeschäfte, wo von Farben, Pigmenten und Basischemikalien bis hin zu Kosmetik alles im Sortiment geführt wurde. Das Blattgold war vielleicht damals schon ein Auslaufartikel, weil die Zeiten sich geändert hatten, jedenfalls nahm mein Schwiegervater das Schächtelchen mit und lagerte es in seinem Keller. Mein Schwager, der als Nachfolger dieses Haus seit mittlerweile 35 Jahren bewohnt, hatte nun diesen „Schatz“, der ca. 45 Jahre unter besten Bedingungen aufbewahrt worden war, gehoben. Mir war sofort klar, dass ich mit diesem „Geschenk“ arbeiten würde. Das Gold sollte in Form einer blattvergoldeten Arbeit in sein Haus zurückkehren, was knapp zwei Wochen nach dem Fund geschah.

Diese märchenhafte Begebenheit lässt mannigfaltige Bedeutungsebenen zu. Für meinen Schwager, den Finder, dass er das Blattgold ausgerechnet jetzt entdeckt hat, wo ich erst seit zwei Jahren damit arbeitete. Davor hätte niemand dafür Verwendung gefunden. So aber konnte das Gold wieder zurückkehren in einer Form, für die es als Blattgold eigentlich bestimmt ist, und es hat nun einen erlesenen Platz als Teil eines Diptychons zusammen mit dem Holzrelief eines Buddhakopfes.

Für mich als Künstlerin ist es eine Bestätigung für den Werkzyklus der „Hommage an die frühe italienische Tafelmalerei des Trecento“, an dem ich seit zwei Jahren arbeite. Dieses Blattgold ist wie ein Gruß aus fernen Zeiten, der mich nachträglich sowohl mit dem Ort (wir bewohnen das Nachbarhaus) als auch mit der Familie, in die ich vor 40 Jahren eingeheiratet habe, verbindet, auf die schönste Weise verbindet, so fein, so leicht, so prächtig wie man sich das nur wünschen kann – und der die Kunst als Schönstes und über die Zeiten Symbolstiftendes feiert.

 

Renate Balda im April 2020           


Text für den Katalog "Erde und Himmel" von Anja Fröhlich, Handwerksmuseum Deggendorf

„Sometimes a pot sings out from its wheel-head, from all its related parts, and the potter may pause (…) and hope that fire will bless with added strength and variety that which his hands have made.“

Bernard Leach

(Yanagi, S. 90)

 

Malerei und Keramik sind die Wirkungsfelder von Renate Balda. Bereits während ihres Studiums der Malerei an der Kunstakademie in Nürnberg kommt sie in Kontakt mit der Keramik. Autodidaktisch erarbeitet sie sich die technischen Details: das Drehen, Glasuren, Brennverfahren und Gefäßformen. In der eigenen Werkstatt fertigt sie zuerst funktionale Keramik, bis sie anfängt, sich freien keramischen Arbeiten zuzuwenden.

Sie erarbeitet sich dabei die Materialien neu, lässt bewusst die klassischen Techniken beiseite und konzentriert sich auf die Möglichkeiten, die sich beim Arbeiten durch den Prozess selbst ergeben: Oberflächenstrukturen, die durch die natürlichen Eigenschaften des Materials entstehen; Spuren, die die Hände bei der Bearbeitung hinterlassen; Charakteristiken, die durch den Brennprozess entstehen. Dabei ist oft ein genaues Hinsehen notwendig, um all das wahrnehmen zu können.

Parallel dazu widmet sich Renate Balda weiterhin der Malerei. Sie nutzt verschiedene Erden und Pigmente, später auch Bienenwachs. Ab 2002 kommen lichterfüllte Farbräume hinzu. Auch bei diesen Arbeiten geht es ihr um das genaue Sehen und um Tiefe.

Sei es bei Ihren Farblithografien, bei denen hauchdünne schraffierte Schichten von Ölfarbe übereinander gedruckt werden oder ihren monochromen Gemälden, bei denen Acrylfarbe durch einen Schüttprozess in feinste Schichten übereinander gelagert werden.

Struktur und Farbe sind auch das Thema bei der Werkserie der Goldschnitte. Die Arbeiten werden ohne Glas und Rahmen präsentiert. Sie sind so montiert, dass sie vor der Wand zu schweben scheinen. Nur der Goldschnitt „rahmt“ die Farbräume. Das Gold geht mit ihnen eine Beziehung ein und hebt sie gleichzeitig hervor.

 

Ausstellung

Die Sonderausstellung „Renate Balda — Erde und Himmel“ im Handwerksmuseum zeigt diesen ganzen Kosmos. Die Werkschau zeigt von den frühen freien keramischen Arbeiten bis zu den aktuellsten Gemälden die gesamte Bandbreite der Künstlerin. Das offene Raumkonzept der Ausstellung und die minimal gehaltene Inszenierung sind dabei bewusst gewählt worden, um den Besuchenden zu ermöglichen die Evolution von Baldas Schaffen nacherleben zu können. Der Raum bietet so auch Sichtachsen, die die unterschiedlichen Werkgruppen in Beziehung zueinander setzt, bereits bekannte Klänge wirken lässt und neue schafft.

 

Zylinder

Die Keramikzylinder sind seit 1992 Teil von Renate Baldas Werk. Zum ersten Mal wurde die Serie umfassend im Jahr 2000 im Keramikmuseum in Frechen gezeigt. Die Zylinder sind nicht gedreht, sondern auf einer Plattenpresse über einen Papierkern gerundet. Sie haben keinen Boden. Balda wählte die Zylinder, um nach der Herstellung von Geschirrkeramik zum ersten Mal freier zu arbeiten. Sich dem Material hingeben, ausprobieren, was das Material für Möglichkeiten anbietet, stand dabei im Zentrum der Arbeit. Dabei auch der Natur freien Lauf zu lassen und zu beobachten, wie sich im Prozess ein Stück entwickelt und verändert. Es ist also nicht nur konsequent, dass durch den Herstellungsprozess bedingt die Zylinder keinen Boden haben. Diese Durchlässigkeit in einem ganz materiellen Sinne macht sie auch übertragen durchlässig: für Erfahrungen und gestalterische Möglichkeiten, auch für Präsentationsmöglichkeiten.

Balda arbeitet sich mit den Keramikzylindern regelrecht frei von den angeeigneten Fertigkeiten, Regeln, „skills“, die im Handwerk und Kunsthandwerk im westeuropäischen Raum üblich sind. Nicht nur mit der Keramik arbeiten, sondern durch die eigenen Hände die Keramik selber wirken lassen, das ist das Ziel. „We have to learn once again how to make friends with the natural raw material from which pattern blossoms“ formuliert es Yanagi (S. 118). Die Oberfläche der einzelnen Zylinder rückt in den Vordergrund. Keiner ähnelt dem anderen. Balda lässt sichtbar, was durch den Herstellungsprozess zu Tage tritt. Die verschiedenen Engoben ebenso wie Schrunden, Risse, entstandene Rauheiten oder die eigenen Fingerabdrücke.

Vor allem die Zylinder aus Steinzeug mit Manganton-Engobe wirken sehr expressiv und zeigen sehr deutlich, wie unterschiedlich die Ergebnisse sein können. Ein getauchter Zylinder zeigt mit seinen Laufspuren andere Charakteristiken als ein eingeriebener. Doch es sind gerade die Zylinder aus (Knochen-) Porzellan oder Steinzeug mit Porzellan-Engobe, die durch die zurückhaltende Farbgebung bei genauerer Betrachtung umso mehr an Tiefe gewinnen. Risse, feinste Farbabweichungen, Schattenbildung durch Ein- und Ausbuchtungen zeigen, wie reich die Möglichkeiten der Materialien sind, auch ohne eine übermäßige Intervention der Schaffenden.

 

Teeschälchen

Insgesamt achtzehn (Tee-) Schälchen sind in der Ausstellung zu sehen. Diese Geschirrserie entsteht seit 2001. Die Schälchen ermöglichten Renate Balda zum ersten Mal nach vielen Jahren, das, was sie sich an Freiheit durch die Zylinder erarbeitet hat, nun im Geschirrbereich anzuwenden. Wie bei den Keramikzylindern steht dabei die Reaktion darauf, was das Material macht, im Vordergrund. Die vielen Akzente, die sich während des Drehprozesses, Glasierens und Brennens ergeben, genügen Balda, um hier Lebendigkeit zu erfahren. Es geht ihr darum, die Wirkungsweisen der Natur zu erfahren. „The function of art is to imitate Nature in her manner of operation“, fasst der Komponist und Künstler John Cage dieses Prinzip zusammen. Das, was die Natur macht, soll in der Kunst zum Ausdruck kommen. Sich dem Material, dem, was die Natur anbietet, zu öffnen und arbeiten zu lassen, ja zuzulassen, ist die Herausforderung. Der Arbeitsprozess – das Drehen, das Brennen – bleibt in den einzelnen Objekten sichtbar und macht jede einzelne Schale spannend. Das Prinzip des Zulassens oder das Geschehenlassen ist tief verwurzelt in der ostasiatischen Keramik:

The shapes are irregular, the surfaces dry or sandy, the glazes of uneven thickness; the pieces piled in the kiln remain unglazed where the pots rest upon one another; fire cracks are accepted. All these characteristics are not merely put up with, but are taken as an integral part of pot making and are therefore of potential beauty. (…) Beauty must have some room, must be associated with freedom. (…) This beauty that I refer to, for want of a better word, as ‚irregular‘ – irregular not in the sense of being opposed to the regular, but simply that when one does not consciously aim at either there is always a little something left unaccounted for.“ (Yanagi, S.121)

Begleitet werden die Schalen in der Ausstellung von großformatigen Fotografien. Diese zeigen stark vergrößert aus der Vogelperspektive das Innere der Schalen. Die Fotografien entstanden um das Jahr 2015. Während der Fotodokumentation der eigenen Werke stellte sich eine Unzufriedenheit bei Renate Balda über die Abbildung der einzelnen Stücke ein. Die Fotos gaben nicht das wieder, was sie selbst sah. Erst in der starken Vergrößerung wurde Balda bewusst, dass es die kleinen – manchmal winzigen – Unregelmäßigkeiten oder Akzente sind, die für sie groß wirken und ausstrahlen. Die durch die Fotografien begleiteten Schalen bieten nun eine einfachere Zugänglichkeit für die Betrachtenden, gewähren auch einen Einblick in das Sehen und Wahrnehmen der Künstlerin. Die können und sollen auch Grundlage für eine Diskussion über die Objekte sein. Assoziationen von der Erde, Planeten oder Monden drängen sich auf und sind durchaus erwünscht, denn was hier ausstrahlt, sind die Wirkmechanismen der Erden, der Natur des Materials, die im Arbeitsprozess zu Tage treten.

 

Monochromes Malen

Nachdem sich Renate Balda längere Zeit der Keramik gewidmet hatte, entstand ab 1994 für sie das Bedürfnis, sich wieder vermehrt der Malerei zuzuwenden. Am Anfang dieser erneuten Zuwendung stand das Malen auf Keramik, schließlich das Malen mit Erden auf Papier und später auch mit Wachs auf Leinwand. Dabei setzte sie, wie bereits in ihren keramischen Arbeiten den Fokus auf das verwendete Material. Balda arbeitete anfangs gestisch, setzte Zeichen. Während dieser Zeit rückte nach und nach immer stärker der Arbeitsprozess an sich in den Vordergrund. Die Vorgänge an sich wurden so fesselnd, dass die Zeichen Stück für Stück zurückgingen, abhandenkamen, ja gar nicht mehr möglich waren in Anbetracht der Ereignisse, die sich auf Papier oder Leinwand manifestierten.

Ab 2002 bricht sich nach 20 Jahren Arbeit mit Erden ein Lichthunger Bahn, der sich zuerst in Wachsfarbarbeiten niederschlägt, dann in Farblithografien und schließlich in großformatigen Acrylgemälden mündet. Balda erarbeitet sich farbige lichtdurchflutete Bildräume, wie sie sich schon vorher den freien Umgang mit der Keramik erarbeitet hat: durch Konzentration und Geduld. Sie konzentriert sich auf die Materialien – seien es Erden oder Farben – und den Arbeitsprozess, schafft es so, geduldig feinste Akzente und tiefe Farbwirkungen entstehen zu lassen.

Die Farbe wird auf die Leinwand gegossen, es entstehen viele Schichten, feine Spuren sind immer noch sichtbar, Licht kann hindurchdringen und ganz unterschiedliche Aspekte der Farben zum Vorschein bringen. Renate Balda lässt so eine lebendig freie Fläche entstehen, die durch die natürlichen Abläufe im Arbeitsprozess wirkt: „das ist mir genug“. Diese Art zu Arbeiten bedeutet auch ein Abgeben von Kontrolle zu Gunsten von natürlichen Abläufen, das heißt, nicht mehr im engeren Sinne „Macher“, sondern „Medium“ zu sein. Die Wirkung ergibt sich aus den „laws of necessity“ (Sōetsu Yanagi) von Hand und Material. Doch ohne ein genaues konzentriertes Sehen und Wahrnehmen während des Prozesses wäre dies nicht möglich. Wie viel Farbe ist zu viel? Wo ist die Künstlerin zu präsent, zu regulierend? „The art of the craftsman (…) is intuitive and humanistic (one hand one brain)“, um es mit Bernard Leach und Herbert Read zu sagen (Yanagi, S.2). So schafft Renate Balda in ihren monochromen Gemälden in einer Intensität bei gleichzeitiger Leichtigkeit ein Lob auf die natürlichen Wirkweisen von Farbe und Licht.

 

Goldschnittarbeiten

Die Werkserie der Goldschnittarbeiten, die seit 2017 entsteht, geht auf eine Begegnung mit der Kunst des Trecento in der Pinacoteca di Brera in Mailand zurück. Es schlossen sich weitere Begegnungen in der Courtauld Gallery, London und im Lindenau-Museum, Altenburg an. In der frühen italienischen Tafelmalerei dominieren religiöse Motive, der Goldgrund ist omnipräsent. Das Gold korrespondiert dabei stark mit der Farbigkeit der Motive, erzeugt eine Konzentration und Reduktion auf das Wesentliche.

Bereits seit 2010 entstanden Farbflächen aus Schellacktusche zuerst auf Bütten-, dann Japanpapier. Nach den Begegnungen und der intensiven Auseinandersetzung mit der Kunst der italienischen Frührenaissance fanden eine erweiterte Farbpalette und das Gold zusammen: die blattvergoldeten Arbeiten gehen eine enge Beziehung zu den Farbfeldern ein, es entsteht ein intensiver Klang, Reduktion und Konzentration. Auch die Goldschnittkanten, mit denen Renate Balda jetzt die Farbflächen durch einen Buchbinder versehen lässt, bewirken ein Hervorheben der Farbfelder, ohne dass eine Überhöhung stattfinden würde.

 

 

An der Rückwand des Ausstellungsraums hängt eine Dreiergruppe: eine Blattgoldarbeit, eine Tonplatte, ein großes monochromes Gemälde. Diese Gruppe ergab sich aus dem Arbeitsprozess heraus. Obwohl die einzelnen Exponate aus teilweise weit auseinanderliegenden Werkserien stammen, bilden sie einen Klang, der die Arbeiten von Renate Balda auf den Punkt bringt.

Licht spielt in allen drei Arbeiten eine wichtige Rolle. Die Materialien sind grundverschieden, die Oberflächenstrukturen unterscheiden sich stark, doch sie alle spielen mit dem Licht und entfalten erst durch ein genaues Hinsehen ihre ganze Tiefe: „acquire the habit of just looking (…) just be ready to receive, passively, without interposing yourself.“ (Yanagi, S.112)

Das großformatige Indigoblaue Gemälde nimmt das Licht auf, das sich, wie ein Hauch durch die Schichten dringend, ausdehnen kann. Die vom Stock geschnittene Tonplatte mit ihrer rauen unregelmäßigen Oberfläche nimmt das Licht auf, schluckt es und lässt die Schatten wirken, die durch die Spuren des Schneidedrahts und der groben Schamottierung entstehen. Die dadurch hervorgehobene Haptik des Tons nimmt den Blick gefangen. Die kleinere blattvergoldete Arbeit nimmt sich nur durch ihre Größe zurück, entfaltet aber durch das Material eine Konzentration durch die stark reflektierende Oberfläche, aber auch durch die feinsten Spuren, die durch das Aufbringen des Blattgoldes entstanden sind. Hier kommt nun zusammen, was Renate Balda ausmacht: die direkte Erfahrung von Struktur, Farbe und Licht.

Ab 2010 beginnt Renate Balda, die lichte Malerei mit den erdigen Aspekten der Keramik in ihren Präsentationen zu kombinieren. Die keramischen Oberflächen in Kombination mit den Licht durchfluteten Farbräumen inspirieren sie zu dem Titel: „Erde und Himmel“.

 

 

a real salvation is found in the field of craft – one finally finds real self-affirmation in the abandonment of self.“ (Yanagi, S.223)

Im Zuge der Ausstellung entstand eine Reihe von Videos, teils in Baldas Werkstatt, teils im Ausstellungsraum im Handwerksmuseum. Diese Videos ermöglichen den Betrachtenden einen Einblick in den Menschen Renate Balda: zurückhaltend, reflektiert, klar.

Dabei kommt vor allem ihre Liebe zum Material zum Ausdruck. Man kann sie dabei beobachten, wie sie ein Keramikschälchen in den Händen dreht, über den Rand streicht, es regelrecht zum Klingen bringt. „Every thing has its spirit which is released by its sound“ heißt eine Tonspur, die nur durch das Streichen über die verschiedenen Keramikschälchen entstanden ist.

Aber auch die klare Geduld einer Renate Balda zeigt sich hier ganz deutlich. Auf jahrelanges Herantasten folgt das erneute Hinterfragen, sich neue Arten des Ausdrucks erarbeiten oder zu alten zurückkehren. Verbessern? Vielleicht doch verändern? Oder einfach nur wirken lassen.

„Es geht immer um Bedingungen des Entstehens. (…) die Bedingungen im Arbeitsprozess sind entscheidend. Nicht dass man sich als Künstler daraus ganz zurückziehen wollte, man setzt ja immerhin noch die Bedingungen; aber etwas beiseite stehen muss man angesichts der überwältigenden Schönheit und Präsenz der Materie.“

Yanagi würde ihr sicher zustimmen wollen.

 

 

Literatur:

Cage, John: A year from Monday. 1967 (S.31)

Leach, Bernard: A Potter’s Book. 2011

Yanagi, Sōetsu: The Unknown Craftsman. A Japanese Insight into Beauty. 2013

Text Englisch für den Katalog "Erde und Himmel" von Anja Fröhlich, Handwerksmuseum Deggendorf

Renate Balda

Earth and Sky

“Sometimes a pot sings out from its wheel-head, from all its related parts, and the potter may pause (…) and hope that fire will bless with added strength and variety that which his hands have made.”

Bernard Leach

(Yanagi, S. 90)

 

Renate Balda is a versatile artist: the art of painting and the world of ceramics are both fields in which she excels. She first came in contact with ceramics during her time at the Art Academy in Nuremberg. Self-taught, she acquired the necessary techniques: throwing on the wheel, glazes, firing processes and vessel shapes. After producing crockery in her own workshop for some time, she began to devote herself to artistic ceramic work.

She re-discovers the materials, consciously abandoning the classical techniques and concentrating on the possibilities that arise through the process itself: surface structures created by the natural properties of the material; traces left by the hand; characteristics that arise through the firing process. It often takes a close look to be able to perceive all this.

At the same time, Renate Balda continues to devote herself to painting. At first by using different earths and pigments, later also beeswax. Since 2002 she creates light-filled paintings.

Structure and colour are the subjects of the series of gold cuts. The works are presented without glass or frame. They are mounted so that they seem to float in front of the wall. Only the gold cut “frames” the colour spaces.

The special exhibition “Renate Balda - Earth and Sky” in the Handwerksmuseum (Museum of Crafts) presents Renate Balda and her work. From the early free ceramic works to the most recent paintings, the retrospective showcases the artist's entire spectrum. The open space concept of the exhibition and the minimalist staging were deliberately chosen to enable visitors to experience the evolution of Balda's work. In this way, the room also offers visual axes that relate the different groups of works to one another, showing the harmonies between them and creating new ones.

Balda started making ceramic cylinders in 1992. She used them to work more feely for the first time after making crockery and focused on the materials and the possibilities they offered. She gave free rein to nature and observed the development and changes during the process.

Balda used the ceramic cylinders as means to free herself from the acquired skills and rules that are common in Western European crafts. The goal was to not only work with ceramics but also let the ceramics become something new through one’s hands and the process. Yanagi describes this as: “making friends with the natural raw material from which pattern blossoms” (p. 118). The surface of the individual cylinders is the focus. Balda makes visible what comes to light during the manufacturing process. The various engobes as well as cracks, roughness, or her own fingerprints.

A total of eighteen (tea)bowls are displayed in the exhibition. This series has been produced since 2001. For the first time in many years, the small bowls allowed Balda to apply the freedom she had learned through the cylinders to tableware ceramics. The focus is on the reaction to what the material offers. The many accents that arise during the throwing, glazing, and firing, are enough for Balda to bring the tea bowls to life. It is about experiencing the effects of nature. Composer and artist John Cage sums up this principle: “the function of art is to imitate Nature in a manner of operation”. The mechanisms and effects of nature should be expressed in art. To open oneself to the processes of nature, the characteristics of the materials, and let it work is the challenge. The process - the throwing, the burning - remains visible in the individual objects. The principle of admitting or letting go is deeply rooted in East Asian ceramics: 

                             The shapes are irregular, the surfaces dry or sandy, the glazes of uneven thickness; the pieces piled in the kiln remain unglazed where the pots rest upon one another; fire cracks are accepted. All these characteristics are not merely put up with, but are taken as an integral part of pot making and are therefore of potential beauty. (…) Beauty must have some room, must be associated with freedom. (…) This beauty that I refer to, for want of a better word, as ‚irregular‘ – irregular not in the sense of being opposed to the regular, but simply that when one does not consciously aim at either there is always a little something left unaccounted for. (Yanagi, S.121)

 

 

In the exhibition the bowls are accompanied by photographs. These show a greatly enlarged bird's-eye view of the interior of the bowls. The photographs were taken around the year 2015. During the photo documentation of her own works, Balda’s dissatisfaction with the reproduction of the individual pieces arose. The photos did not reflect what she herself saw. It was only after enlarging the photographs that Balda realized that it was the small - sometimes tiny - irregularities or accents that were responsible for the work’s aura. The photographs offer an easier accessibility for the viewer and provide an insight into the artist's perception.

 

 

In 2002 after 20 years of working with clay, Balda developed a hunger for light, first reflected in waxworks, then in colour lithographs and finally in large-format acrylic paintings. Balda now creates coloured, light-flooded pictures, just as she had previously developed the free use of ceramics: through concentration and patience. She focuses on the materials and the process and manages to patiently let the finest accents and deep colour effects happen.

The paint is poured onto the canvas, creating many layers. Fine traces are still visible, the light can permeate the colours and in doing so, highlights aspects of the colours. This way of working also means rendering control to natural processes: no longer being a “maker”, but a “medium”. The effect results from the “laws of necessity” (Sōetsu Yanagi) of hand and material. Thus, in her monochrome paintings, Balda, with an intensity and lightness, praises the natural effects of colour and light.

After encounters with the art of the Trecento in 2017, Balda began a new series: colour surfaces with gilt edges. In the early Italian panel painting religious motives dominate and gold backgrounds are omnipresent. The gold corresponds with the colour of the motifs, both concentrating and diminishing their importance.

Balda started creating colour surfaces made of shellac ink on laid paper, then Japanese paper in 2010. After the encounters and the intensive examination of the art of the early Italian Renaissance, an extended palette of colours and gold came together: the leaf-gilded works are related to the colour fields, creating an intense aura, reduction, and concentration. The gold-cutting edges emphasise the colour fields without exaggerating them.

On the back wall of the exhibition room hangs a group of three: a gold leaf work, a clay plate, and a large monochrome painting. This group emerged from the process. Although the individual exhibits come from widely separated series of works, they form a harmony that sums up the work of Balda.

Light plays an important role in all three works. The materials are completely different, as are the surface structures, but they all play with the light and only unfold their full depth by taking a close look: “acquire the habit of just looking (...) just be ready to receive, passively, without interposing yourself” (Yanagi, p.112). In these three works the essential trait of Balda is condensed: the direct experience of structure, colour, and light.

In 2010, Balda began to combine light coloured paintings with the earthy aspects of ceramics in her work. The ceramic surfaces in combination with the light-flooded colours inspired her to the title: “Earth and Sky”.

 

“A real salvation is found in the field of craft - one finally finds real self-affirmation in the abandonment of self.” (Yanagi, p.223)

 

In the course of the exhibition, a series of videos was produced, partly in Balda's workshop, partly in the exhibition space in the Handwerksmuseum. These videos give the viewer an insight into the artist, that is Renate Balda: reserved, reflective, clear.

Above all, her love for the material is expressed. You can watch her as she turns a ceramic bowl in her hands, strokes the edge, and makes it literally resonate. “Everything has its spirit which is released by its sound” is the name of a soundtrack created only by touching the various ceramic bowls.

But this also shows the patience of Balda quite clearly. After years of handling the material, she is continuously questioning her work, developing new forms of expression, or returning to old ones. Improve? Maybe change it? Or just let everything unfold.

“It's always about the conditions of creating (...) the conditions in the process are crucial. Not that one wanted to withdraw oneself completely as an artist, one still sets the conditions; but you have to take a step back in the face of the overwhelming beauty and presence of matter”.

Yanagi would certainly agree with her.

Martin Ortmeier bei der Eröffnung der Ausstellung "Erde und Himmel" im Handwerksmuseum Deggendorf vom 20. 10. 2019 bis 23. 2. 2020

Es ist, was es ist. Renate Balda gibt autonome Farbe

Martin Ortmeier

 

 

Wenn wir morgens unsere Kaffeetasse zur Hand nehmen und uns an deren Gestalt und Zweckmäßigkeit erfreuen, dann fragen wir natürlich nicht: Was bedeutet dieses Ding. Denn es ist, was es ist: ein Gefäß – auch wenn es schön ist.

 

So sollte es auch mit den Gemälden, Drucken und keramischen Körpern gehalten werden, die Renate Balda schafft. Sie bedeuten nichts, sie sollen auch nichts bedeuten. Sie stehen jedoch vor einem tiefen und breiten kulturgeschichtlichen Horizont. Auf diesen Horizont verweist der Titel der Ausstellung des Handwerksmuseums Deggendorf: Erde und Himmel. Die beiden Begriffe weisen in zwei Richtungen, nämlich dorthin, wo wir stehen und gehen und unser Leben verbringen, und hinauf zu den Werten, die über dem Alltag stehen. Der Titel verweist auf den Himmel als den symbolischen Ort alles Transzendenten und zurück auf die Stoffe, aus denen Renate Balda ihre Werke macht.

 

 

Von welchen Werkstoffen reden wir?

 

Erde und Himmel sind Metaphern, selbstverständlich. Metaphern wofür? Es ist nicht die Erde, mit der Renate Balda werkt, sondern es sind Erden, die mineralischen Stoffe, die im Zuge ihrer Bearbeitung Körper, Oberfläche (Haut) und Farbe in je eigener Weise ausbilden. Und es ist nicht der Himmel, der uns Körper, Oberfläche und Farbe wahrnehmen lässt, es ist das Licht.

 

Balda hat ihre Werke mit eigenen Händen hergestellt, und wir sollten sie – zumindest die keramischen – auch mit unseren Händen wahrnehmen dürfen. Das ist die Freude des Sammlers, die dem Besucher der Galerie und des Museums leider, aber guten Grundes verwehrt bleiben muss.

Der Sammler und Besitzer eines Werks braucht auch keine Scheu zu haben, über die Bütten- und Japanpiere, die Balda mit Schellacktusche veredelt – und die ihm für die Zeit seines Lebens zugehören, mit seinen Fingern zu streichen. Wenn er dabei die Augen schließt, kann er sich einem Assoziationsreigen hingeben, der ihn vom Kleinen zum Großen, vom Nahen zum Fernen, vom Rohen zum Edelsten, vom Erotischen zum Atmosphärischen, vom Sterblichen zum Unvergänglichen, Ewigen treibt.

Der Autor dieser Zeilen kann die sinnliche Lust der Künstlerin nachempfinden, die ihr die verschiedenen Erden, die Gesteinspigmente, bereiten, nach denen sie auf die Suche geht, die sie als Schatz hortet und denen sie ästhetische Wirkung im anschaulichen Werk verleiht.

 

Die Wahl des Bildträgers – sei es Leinwand, sei es Papier verschiedener Art, sei es keramischer Scherben – und die Wahl des Bindemittels – Acryl, Schellack, Wachs, Glasur oder Engobe – ist wie die Entscheidung für dieses oder jenes Pigment bildwirksam. Diese materiellen Grundlagen des künstlerischen Schaffens nimmt Renate Balda sehr ernst.

Es sei dazu die Künstlerin selbst zitiert, weil diese Aussage den großen Ernst erkennen lässt, der aus den Werken spricht:

Es geht immer um Bedingungen des Entstehens. (…) die Bedingungen im Arbeitsprozess (sind) entscheidend. Nicht dass man sich als Künstler daraus ganz zurückziehen wollte, man setzt ja immerhin noch die Bedingungen; aber etwas beiseite stehen muss man angesichts der überwältigenden Schönheit und Präsenz der Materie“.

 

Bei den Lithographien legt sie hauchdünne Lasuren übereinander, die das „von draußen“ einfallende, vielschichtig gebrochene und vom weißen Papier reflektierte Licht auf seinem Rückweg in unseren Augen zu Farbe machen.

Auf den handgeformten Keramikplatten und -körpern lässt sie das Licht tief eindringen in raue Oberflächen und gleich daneben heiter abstrahlen von Glasuren verschiedener Farbe oder Engoben. In jüngster Zeit setzt sie Blattvergoldung ein. Dieser Hauch von Stofflichkeit ist materialgewordenes Licht.

Mit dem Blattgold kommen wir an die Zeitengrenze und den Weltanschauungskorridor der frühen italienischen Renaissance, als in der Tafelmalerei der Goldgrund von Farbe abgelöst wurde. Diese Farben waren zunächst nur sie selbst in ihrer Schönheit und Symbolkraft, erst allmählich wurden sie mehr und mehr dem Dienst der Abbildung unterstellt.

Auf die Tafelmalerei dieser Zeit greift die monochrome Malerei Renate Baldas zurück. Sie ist nicht die einzige, die sich der autonomen Farbe zuwendet, die Mantovanerin Sonia Costantini, mit der Balda 2017 gemeinsam in Passau im Diözesanmuseum und in der Sankt Anna-Kapelle des Kunstvereins ausgestellt hat, folgt ähnlichen Wegen und Arbeitsweisen. Aber die Handschrift Baldas und die nüchterne Konsequenz und Reduziertheit ihres künstlerischen Handelns sind schon einzigartig und unverkennbar.

 

 

Die Kulturgeschichte nennt diese Kunstrichtung konkret

 

Die Farbfeldmalerei eines Mark Rothko ist zu erinnern, das Blau von Ives Klein; Gerhard Richters Kölner Domfenster sind zu bedenken. Die Farbe in ihrer Eigenheit und im Werkprozess errungenen Einzigartigkeit im hortus conclusus der traditionellen Tafelmalerei ist hier zum Ereignis geworden. Die Nachbarschaften von Farben sind zum Modell von Gesellschaften aufgestiegen.

 

Wir kennen dieses Suchen nach neuen Farben auch in der zeitgenössischen Musik, das Herantasten an neue Töne und Klänge, das Ergründen und Erproben neuer Klangfarben.

Aus dem Kreis der konkreten Komponisten sei Roland Dahinden genannt. Hervorzuheben ist seine Komposition aus dem Jahr 2007 Das Blatt von Agnes (3’ 47’’, 3 Stimmen und Schlagzeug). Eben diese Musikalität steckt in jedem Werk Renate Baldas. Dass die Ausdehnung im Raum in der bildenden Kunst mehr Gewicht hat, in der Musik die Ausdehnung in der Zeit, das ist selbstverständlich. Aber es geht nur um Gewichtung, nicht um entweder oder.

Intensität und Abtönung, Dichte und Lasur, Kontrast und Nachbarschaft, das alles finden wir in den angesprochenen musikalischen Kompositionen ebenso wie in diesen Werken der bildenden Kunst.

Und selbstverständlich ist diese Haltung auch in der Literatur anzutreffen – Nora Gomringers Sprechakte seien erinnert. In ihrem Gedicht kein fehler im system wandelt sie die Worte, bis sie von ihrer Bedeutung frei, nur noch Lautgebilde, nur noch Artikulation sind.

Es gibt diese Haltung des Konkreten selbstverständlich auch im Schauspiel und im Tanz.

 

Farbe als autonomer Bildgegenstand, als Träger von Stimmung und Weltanschauung, gab es aber auch in den Jahrhunderten zwischen Frührenaissance und Moderne.

Ein Beispiel sei genannt: die Huldigung an Violett und Lila im Werk von Anselm Feuerbach. Man möge sich in der Schack-Galerie in München der Hingabe widmen an die Morbidität der kardinalroten Federfächer und der abendveilchenfarbenen Damasttuche, denen Feuerbach in seinen Gemälden große Flächen einräumt. Und man möge sich erfreuen an der Seelenverwandtschaft der beiden Künstler Renate Balda und Anselm Feuerbach und deren Hochachtung vor der Farbe als Materialisation des Lichts und Stellvertreter eines jede sprachliche Vermittelbarkeit übersteigenden Wertes.

 

 

Die Farbe und ihre Gesellschaft

 

Noch einige Worte sind nötig zur vielgesichtigen Farbnachbarschaft der von Balda immer wieder neu kombinierten Farbtafeln.

Das traditionelle Tafelbild als abbildendes Medium ist von der Photographie längst überholt, als bürgerliches Wohn-Accessoire hat es aber weiterhin seinen Markt. Davon setzt sich das konkrete Kunstwerk kritisch ab. Auf diese Weise kann das Kunstwerk seinem eigentlichen Zweck dienen, nämlich Zeitgeist und Weltanschauung zur sinnlichen Wahrnehmung zu bringen.

Wenn Renate Balda mehrere Tafeln zu einer Gruppe anordnet, entwirft sie das Modell einer nicht uniformen Gesellschaft. Die Anordnung der Farben geschieht bei Balda auf der Grundlage einer ästhetischen Abwägung und Entscheidung. Bei Gerhard Richters Fenstern im Kölner Dom ist diese Farbgesellschaft von einem Zufallsgenerator errechnet worden. Beide Wege sind dem intellektuellen Kalkül entzogen, mittels beider Lösungswege wird Bedeutung verweigert – und im Gegenzug das Werk an sich dargeboten.

 

Gerade an Gerhard Richters Kölner Kirchenfenstern wird die radikale Abkehr vom Tradierten deutlich. Jahrhunderte war die Gestaltung dieser Glasgemälde einer vertikalen Ordnung unterworfen. Im hierarchischen System der Kirche ist dieses gegenwärtige Prinzip, dass nämlich das wertvolle Ganze sich aus einer Nachbarschaft von vielen Verschiedenen, jedoch alle Gleichwertigen ergibt, ganz neu.

Renate Baldas Gruppen entwerfen das Modell einer freien bürgerlichen Gesellschaft. In einer Zeit, in der unserer weitgespannten farbigen Vielfalt eine enge braune und graue Einfalt als erstrebenswert vorgestellt wird, kommt den ins Feinste abgestimmten Farbgesellschaften Baldas hoher politischer und ethischer Wert zu.

 

 

Kunst und Handwerk, Innovation und Tradition

 

Der rechte Ort für Renate Baldas Werke ist in der öffentlichen Galerie wie im Privaten das Kabinett. Dieses intime Format kommt der Intention Renate Baldas entgegen, die nicht durch Opulenz gewinnen will, sondern durch Insistenz. Hier kann man sich jedem einzelnen Werk in geduldiger Anschauung zuwenden. Die Schönheit und Symbolkraft dieser Werke eröffnet sich nicht dem schnellen Betrachter. Wer unvoreingenommen und mit Muße an Renate Baldas Werke herangeht, wird beschenkt.

Die Kompaktheit des Kabinetts korrespondiert mit der Strenge der Formen dieser keramischen Stücke und Gemälde. Freiheit in der Kunst wie in der Gesellschaft braucht Form, damit sie wirksam werden und sich entfalten kann – sonst würde sie abgleiten in Beliebigkeit und Willkür, Laisserfaire. Die Strenge der Quadrate und die haptische Genügsamkeit der Zylinder veranlassen und ermöglichen die Hingabe an das Spiel und Wunder von Materie und Licht, Ding und Wert, Erde und Himmel.

 

Die Werke Renate Baldas stehen – wie eingangs festgestellt – vor einem tiefen und breiten kulturgeschichtlichen Horizont. Zwei Aspekte seien kursorisch herausgegriffen: Der Bildgegenstand Licht wird von Balda nicht abbildend, sondern materiell behandelt, in Verwandtschaft zum Goldgrund der Tafelmalerei des hohen Mittelalters, zur Verglasung des Pastellgemäldes des 18. Jahrhunderts, zum Bildträger des Hinterglasbildes in Barock und Expressionismus und zum Firnis über der Ölmalerei.

Und wenn Baldas Tafelbilder und ihre keramischen Handstücke in eine Subgattung neben Landschaft, Stillleben, Meerstück, Porträt usw. eingeordnet sein sollen, dann darf auf die Tradition des Andachtsbildes verwiesen werden. Das Andachtsbild hat seinen angestammten Platz im privaten Kabinett und im Peripheren der Kapellen.

Es ist autonom, frei von Repräsentation, Belehrung und Bedeutung. Es ist, was es ist.

 

 

 

Laudatio zur Austellungseröffnung in Obernzell, 29. August 2014 von Dr. Martin Ortmeier

Eines muss ich gleich vorausschicken, meine sehr geehrten Damen und Herren: Haben Sie in der Ausstellung das Licht- und Schattenspiel der Abendsonne auf dem großen weinroten Quadrat gesehen? Frau Balda und ich sind uns einig: Das Licht ist der ganz große Meister, der erfahrene bildende Künstler bereitet ihm nur die Bühne.

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L’a ltrov e dell’imma gine: riv ela re la liturgia del monocromo, Matteo Galbiati, 2012

Monocromo. Ancora monocromo! Sempre la stessa cosa? Possibile comprendere e riconoscere di un artista il tono di una personalità, di un’anima, di un’identità specifica ed individuale in un lavoro che s’infittisce sull’esclusività cromatica di un colore solo, che nella sua unicità, spesso prepotente, pare adombrare ogni inflessione singolare e contingente?

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Einführungsrede von Dirk Martin M.A. zur Ausstellungseröffnung in der galerie linde hollinger, ladenburg, am Sonntag, den 05. September 2010

Zu den Arbeiten Renate Baldas:

 

Für die Malerei von Renate Balda wähle ich den kunstwissenschaftlichen Terminus der Analytischen Malerei. Die wesentlichen Merkmale dieser Malerei sind, dass sie keinerlei Verhältnis zu einer Welt außerhalb des Gemäldes hat; sie ist eine Malerei, die nur sich selbst zeigt, und somit Malerei als Tätigkeit und als hergestellter Gegenstand in der künstlerischen Arbeit selbst reflektiert.

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Eröffnung Galerie Trampler 2010

Der Bitte, am heutigen Abend ein paar einführende Worte zu sprechen, komme ich sehr gerne nach.

 

Wohlwissend, daß es Renate Balda in ihrer bescheiden zurückhaltenden Art eigentlich am liebsten wäre, ihre Kunst nur mit kurzen Worten gewürdigt zu wissen, möchte ich es dennoch nicht mit Edgar Degas halten, der wohl die kürzeste Variante einer Einführung parat hätte. Er sagt, „bei Leuten, die etwas von Kunst verstehen, bedarf es keiner Worte.

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Gabi Dewald, Stille Erde 2007

Man sagt, die Erde singe. Ganz tief im Innern kann man ihr Geräusche ablauschen. Die Erde tönt: Ihr Schmelzen und Erstarren, das Reiben ihrer Platten, das Schieben der magmatischen Massen, ihr Drehen um sich selbst.

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Die Sehnsucht war vorher da

Die Sehnsucht war vorher da. Ein diffuses, unbenanntes, unbesprochenes Drängen nach, Hingezogensein zu bestimmten Sachverhalten. Seit Herbst 2002 starke Affinität zum Licht, zur Lichtwirkung von Farbe.

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La materia si comporta…

La materia si comporta così come la sua stessa natura le impone. Percepire, nella totalità, minime influenze del materiale. La materia intesa come colore si deve costituire da sé, così che qualcosa della sua natura ne scaturisca.

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The longing is there to start with

The longing is there to start with. A vague, anonymous, unspoken urge, an attraction to certain things.

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Rupert Walser 2005

Von sich und seinem Umfeld, seinen Gegebenheiten ausgehen. Dem, Allem, dem Ganzen nachspüren, durchmachen. Sich das durch Machen vor Augen führen.

 

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