Eröffnung Galerie Trampler 2010

Der Bitte, am heutigen Abend ein paar einführende Worte zu sprechen, komme ich sehr gerne nach.

 

Wohlwissend, daß es Renate Balda in ihrer bescheiden zurückhaltenden Art eigentlich am liebsten wäre, ihre Kunst nur mit kurzen Worten gewürdigt zu wissen, möchte ich es dennoch nicht mit Edgar Degas halten, der wohl die kürzeste Variante einer Einführung parat hätte. Er sagt, „bei Leuten, die etwas von Kunst verstehen, bedarf es keiner Worte.

Man sagt HM! HA! Oder HO! Und damit ist alles ausgedrückt.“ Was Edgar Degas unterschätzt hat, ist die Macht des Wagenlenkers platonscher Prägung, also die Ratio, die einem jeden von uns eingeschrieben ist.

 

Gilt doch seit der Verwissenschaftlichung unserer Zeit in der Aufklärung und dem damit zementierten Ende der Kunst- und Wunderkammertradition das nicht rational zu untermauernde, bewundernde „Staunen“ nicht mehr als Qualitätsbeweis. Dem „Sich wundern“, dem Unerklärlichen, rational nicht unmittelbar erfassbaren, sinnlichen Moment haftet vielmehr seither ein infantil- geringschätziger Beigeschmack an. Erst in der ersten Hälfte des 20. Jhs. findet- maßgeblich angestossen durch Freud und Jung – eine Rückbesinnung auf das Unbewußte statt – oder besser gesagt, man versucht das Unbewußte dingfest, also sichtbar zu machen. Aufgrund der althergebrachten Verquickung und gegenseitigen Befruchtung von Kunst und Wissenschaft manifestiert sich dieses Bestreben folgerichtig auch in den Kunstströmungen dieser Zeit.

 

So ist der Malerei des abstrakten Expressionismus, also beispielsweise den Arbeiten eines Jackson Pollock, Barnett Newman oder auch eines Mark Rothko die Jungsche Formel des „kollektiven Unbewussten“ eingeschrieben.

 

Die seit Goethes Farbenlehre postulierte, unterschwellige Wirkmächtigkeit von Farben, erfährt ihre Bestätigung fortan nicht nur durch die Erkenntnisse der Farb- und Tiefenpsychologie, also der theoretischen Wissenschaft, sondern auch ganz konkret während ihrer künstlerischen „Ins- Bild- Setzung“ und darüber hinaus durch die Betrachtung von Farbflächen – auf die Spitze getrieben – durch die Betrachtung ihrer reinsten Form: dem monochromen Farbfeld.

 

In dieser Tradition und Gedankenwelt bewegt sich auch Renate Balda. Doch lassen Sie mich zunächst vom Anfang sprechen, um der Ausstellung mit dem Titel „Von Anfang … bis jetzt“ auch gerecht zu werden.

 

Am Anfang…… stand die Malerei. Doch in ihren Ausdrucksmöglichkeiten stieß Renate Balda sehr bald an Grenzen, die unüberwindbar schienen und so beginnt sie, sich intensiv mit Keramik zu befassen. 10 Jahre arbeitet sie ausschließlich im Bereich der Gebrauchskeramik. Doch sie stellt fest, daß sie Zitat „ auf einem Bein nicht stehen kann“. Ohne den Dreck und die schwere körperliche Arbeit in der Keramik erscheint ihr sich malerisch auszudrücken als unmöglich und umgekehrt.

 

Seither steht Renate Balda mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Sie ist geerdet. Das erfasst, wer ihre 2008 mit dem Diessener Keramikpreis ausgezeichnete Keramik betrachtet, das spürt, wer ihre gestische Malerei – noch intensiver, wer ihre großformatigen Farbfeldarbeiten sieht, deren herausragender Qualität die Pinakothek der Moderne in München durch einen Ankauf im Frühjahr 2009 Rechnung getragen hat.

 

Was sich als Malerei anfangs zunächst auf Gefäßen und vor allem auf großen wuchtigen Platten Bahn bricht, löst sich im Weiteren mehr und mehr von der Keramik und wird zum eigenständigen Medium. Auf die frühen, meist gestischen Arbeiten auf Papier, die ab 1994 entstehen, folgen Malereien in Enkaustik, also auf der Basis von Wachs und in ihrem Fall Erdpigmenten.

 

Ihr konsequenter Weg führt in der Folge weg von der gestischen Malerei. Die Bildfelder werden leerer, die Struktur, die dem Material zum Ausdruck verhelfen soll wird zum genuinen Bildinhalt. Was dann folgt, ist nur scheinbar ein neuer Ansatz. Die ab 2004 entstehenden Farbfeldarbeiten in Acryl entspringen einer tiefen Sehnsucht nach lichter Farbigkeit, so Balda, und offenbaren doch gleichzeitig in verblüffender Weise eine weiter fortschreitende Reduzierung auf das Elementare. Auf diese Arbeiten, die mit zwei großformatigen Bildern auch hier in der Ausstellung präsent sind, möchte ich im Folgenden mein Augenmerk legen.

 

Wie bereits oben angesprochen, speist sich die Malerei Renate Baldas aus der Philosophie und den Formgebungsprozessen des abstrakten Expressionismus der 40- er und 50-er Jahre des 20. Jhs. Das Verschwinden des Gegenständlichen, die Beschäftigung mit gestischen Ausdrucksformen, aber noch mehr der Prozess der Essentialisierung interessieren auch Balda und bestimmen ihr Ringen um die Möglichkeiten künstlerischen Ausdrucks.

 

Die Farbfeldmalerei ist eine stille Kunst. Wer in der Rothko Retrospektive der Hypo Kunsthalle gewesen ist, wird bemerkt haben, daß selbst der größte Museumsschwätzer vor der Leuchtkraft und Sogwirkung dieser Bilder verstummte. Sicherlich kein Zufall, dass Maler und Musiker wie Yves Klein, Robert Rauschenberg oder John Cage zur selben Zeit wie Rothko in ihren Arbeiten Kunst und Stille erstmals in bewusst machende Beziehung zueinander setzten.

 

Man denke hier nur an Cages Stück 4 Minuten 33 Sekunden, das bekanntermaßen aus drei Sätzen mit der Anweisung Tacet besteht, somit also die Zuhörer buchstäblich NICHTS hören lässt und welches in engster geistiger Verwandtschaft zu Robert Rauschenbergs „White Painting“ steht.

 

Die Möglichkeiten der Reduzierung auf Farbe und Licht als reine Ausdrucksformen, wie ein Yves Klein sie auslotete, und wie sie in der Umkehrung ihrer physikalischen und wahrnehmungspsychologischen Prozesse bei Lichtkünstlern wie James Turrell oder Dan Flavin zum Ausdruck kommen, liegen auch den Überlegungen und Entwicklungsprozessen in Baldas Werk zu Grunde.

 

Während jedoch die Lichtkunst mit Farbe arbeitet, die aus einer Lichtquelle ausgesendet wird, absorbieren in der Umkehr die monochromen Farbfelder Renate Baldas das Licht aufgrund ihrer speziellen Technik. Schicht um Schicht schüttet Balda lasierende Acrylfarben auf die Leinwand. Um die verblüffende Ebenmäßigkeit und die gleichmäßig mattseidene Oberfläche ihrer Arbeiten zu erreichen, sind jeweils vier Schüttvorgänge für eine einzige Farbe notwendig. Es sind diese vielen, nicht selten 20 Farbschichten, die jene Tiefenwirkung erzielen, die den Betrachter in ihren Bann, ja ich möchte sagen, ins Bild ziehen. Aber auch der Bildträger spielt eine entscheidende Rolle. Erweist sich doch die Textur der anfangs verwendeten Leinwände als zu grob, zu dominant durchscheinend. Erst als die Künstlerin feines Baumwollgewebe auf den Keilrahmen aufzieht, zeichnet sich eine Struktur nur noch andeutungsweise ab und ermöglicht so die angestrebte Bildwirkung.

 

Baldas spannungsreiche Farbflächen, getarnt als Monochromie, entpuppen sich bei genauerer Betrachtung als eher polychrome Ausgestaltungen. Die rätselhafte, warme, oft erdige Farbigkeit ihrer Arbeiten erreicht sie durch Nutzung des gesamten Farbkreises. Diese verblüffende Erkenntnis offenbart sich dem neugierigen Betrachter, der auf der Suche nach dem Farbgeheimnis ihre großformatigen Bilder auch von der Seite betrachtet.

 

Renate Balda hat die Gabe, sich als Künstlerin sowohl malerisch als auch keramisch gleichermaßen ausdrücken zu können. Bislang existierten Malerei und Keramik als eigenständige Ausdrucksformen nebeneinander, nacheinander und ergänzten sich. In ihren neusten Arbeiten aber, bringt die Künstlerin erstmals die transparente, lichte Farbigkeit der Malerei mit der elementaren, ja groben Materialität ihrer Keramik in eine symbiotische Beziehung zueinander.

 

Ihr Weg dorthin ist konsequent.

 

Die Ergebnisse von einem großen Spannungsreichtum getragen. Beispielhaft sei hier nur herausgestellt das aus zwei keramischen und zwei monochrom farbig gestalteten Flächen bestehende Quadriptychon in der Ausstellung, das gleichzeitig bildgewordener Ausdruck des Ausstellungstitels ist: Von Anfang….bis jetzt.

 

Die keramischen Platten für diese Arbeiten bestehen aus ungereinigtem Ziegelton, der noch mineralische Einschlüsse, Sägespäne und ähnliches enthält. Mit Hilfe eines Drahtes schneidet Balda die Platten vom Stock, also der zum Block geformten Ziegelmasse. In diesem Moment entsteht die von Kratern und Schlieren durchzogene Oberflächenstruktur, die den unverwechselbaren Charakter und die haptische Materialität der Ziegelplatten ausmacht. Manches Mal versieht die Künstlerin wie auch hier eine der Platten mit der für sie typischen „weißen Glasur“.

 

Es sind überraschende, ungewöhnliche und auf den ersten Blick sperrige Zusammenstellungen, die aber aufgrund ihrer extremen Polarität ähnlich wie Ying und Yang eine harmonische Verbindung eingehen und sich gegenseitig in ihrer Intensität überhöhen. Sie sind in Erweiterung dieses Spiels mit Licht und Farbe Negativ und Positiv, schlucken das Licht und geben es frei, sind grell und zurückgenommen in ihrer Farbigkeit.

 

Die Bildbetrachtung fordert dem Rezipienten der Farbfeldmalerei viel ab. Sie erfordert ein Sich- einlassen in Stille und Ruhe und birgt aber dadurch gerade in unserer eventgetriebenen und optisch hastigen Gegenwart die, wie der renommierte Kunsthistoriker Willibald Sauerländer es ausdrückt, „Chance zum langsamen Sehen“. Im Idealfall werden Farbfeldarbeiten also für den Betrachter zu einer Fläche der Reflexion, ja zum Spiegel seiner momentanen Empfindungen oder wie Mark Rothko es ausdrückte:

 

„Ein Bild lebt durch die Gesellschaft eines sensiblen Betrachters, in dessen Bewusstsein es sich entfaltet und wächst. Die Reaktion des Betrachters kann aber auch tödlich sein. Es ist deshalb ein riskantes … Unterfangen, ein Bild in die Welt zu entlassen … Und müsste ich mein Vertrauen in irgendetwas setzen, würde ich es in die Psyche des einfühlsamen Betrachters legen, der frei von konventionellen Denkmustern ist. … Wenn beides – Bedürfnis und Geist – vorhanden sind, dann besteht Gewähr für wahren Austausch.“

 

Stephanie Gilles M.A. Februar 2010